Hintergrund
Bereits vor geraumer Zeit fragte megaherz-Produzent Fidelis Mager bei
Andreas Dresen an, ob er einen Film im Rahmen der Dokumentarfilmreihe
"Denk ich an Deutschland" machen wolle. Dresen sagte spontan
zu. "Ich hatte große Lust, mich wieder mit dem Genre zu beschäftigen",
erzählt Andreas Dresen. "Mein letzter Dokumentarfilm war lange
her, und gerade nach der Arbeit an Halbe Treppe hat es mich gereizt, ohne
Spielhandlung und Schauspieler noch einen Schritt weiter in die Wirklichkeit
zu gehen, in Situationen hineinzugeraten und mich mit ihnen auseinanderzusetzen."
Ausgehend vom Titel der Reihe dachte Andreas Dresen nicht an das Deutschland
der Metropolen, sondern an eher abliegende, vergessene Orte. "Wir
wollten gestalterisch sehr pur sein, ohne Kommentar, mit einer Figur,
die durch den Film führt und mit unterschiedlichen Menschen in Kontakt
kommt. Wir wollten, dass sich die Situationen im Film organisch ergeben",
meint Dresen. "Am Anfang dachten wir an einen Gerichtsvollzieher
oder ähnliches, später kamen wir auf die Idee, einen unbekannten
Politiker auf seiner Wahlkampftour zu begleiten. Das war dann schon wieder
fast wie im Spielfilm: Einer, der mit seinem Schirm auszieht, um die Wahlen
zu gewinnen, und am Ende stellt sich heraus, ob er es schafft oder nicht."
Die Recherche begann bei der CDU Brandenburg, die den jungen und engagierten
Kandidaten der Region Uckermark/Oberbarnim empfahl: Henryk Wichmann. "Die
CDU erschien mir geeignet, weil ich eine bestimmte Reibung im Film aufrecht
erhalten wollte. Ich wollte mich weder zu sehr mit den Inhalten identifizieren
noch sie grundsätzlich verurteilen. Die Frage der Parteizugehörigkeit
an sich war uns aber nicht wichtig. Das Besondere war, dass wir mit Henryk
Wichmann einen jungen Mann hatten, der für eine konservative Partei
kandidierte und nach seinem eigenen Wahlmotto frischen Wind
in die Politik bringen wollte. Und die Uckermark passte als Region natürlich
sehr gut zu meinen ersten Überlegungen für den Film."
Wichmann erklärte sich mit dem Film einverstanden, nachdem er Andreas
Dresen kennengelernt hatte. "Wir hatten eine unglaublich schnelle
Produktionsvorbereitung, die Zeit lief uns wegen des Wahltermins davon",
erzählt Dresen. "Mitte Juli haben wir mit der Recherche begonnen,
Drehbeginn war der 20. August." An insgesamt 15 Drehtagen war das
dreiköpfige Team bei Henryk Wichmanns Wahlkampf in der Provinz dabei
neben Andreas Dresen der Kameraassistent und Tonmann Andreas Gläßer
sowie Andreas Höfer, der zum ersten Mal seit Nachtgestalten wieder
die Kamera bei einem Dresen-Film führte.
"Es hat uns selbst ein bißchen überrascht, wie wir gedreht
haben meistens vom Stativ und mit einer ruhigen Kamera", erzählt
Andreas Dresen. "Das hat sich fast organisch ergeben, vielleicht
weil uns viele Vorgänge befremdlich waren. Wir wollten in jedem Fall
eine Optik, die sich von dem üblichen Fernsehreportage-Stil unterscheidet
wir wollten beobachten, eine gewisse Distanz halten, den Leuten
nicht zu sehr auf die Pelle rücken und keine penetrante Aufnahmesituation
erzeugen."
Der Fokus der Filmerzählung liegt durchgängig auf Henryk Wichmann,
nur ab und an erlaubt sich die Kamera Beobachtungen an den Rändern
der Situationen. "Während des Drehens war es oft nicht genau
einzuschätzen, wie tragfähig die Situationen für den Film
sein würden, ob sich die Vorgänge wirklich selbst erzählen
würden", meint Andreas Dresen. "Deswegen hatte ich zwischenzeitlich
auch Interviews gemacht, die wir am Ende dann aber nicht gebraucht haben.
Wichmann funktioniert den ganzen Film über als Moderator, der ständig
neue Situationen und Begegnungen provoziert. Auch den Ton macht er quasi
selbst, durch das Ansteckmikro, das er die ganze Zeit trägt. Darauf
haben wir ihn natürlich immer hingewiesen: dass wir so alles mitkriegen,
was er macht, und dass er nur das Kabel rausziehen braucht, um uns abzuschalten.
Er konnte auch wie alle, die wir gefilmt haben jederzeit
entscheiden, ob er gefilmt werden will oder nicht. Es kam allerdings nie
vor, dass er uns gebeten hätte, die Kamera auszuschalten."
Während des Drehs kristallisierten sich Motive heraus, die in ihrer
Wiederkehr und verschiedenen Variationen den Film organisch strukturierten:
das ständige Warten, das dauernde Problem mit dem Wind als Kontrapunkt
zu Wichmanns Wahlmotto, bestimmte Argumentationen und Gesten. "Ein
anderes Leitmotiv war der Gegenkandidat von der SPD, Markus Meckel",
erzählt Dresen. "Zuerst hatten wir überlegt, ihn mit in
den Film zu nehmen, eine Art Doppelporträt zu machen. Aber das hätte
den Film zerfasert. Später fanden wir es besser, dass er nur durch
seine beeindruckende Plakatpräsenz und in den häufigen Erwähnungen
von Wichmann vorkommt der übermächtige Konkurrent, immer
da, aber nie zu sehen."
Im Zentrum des Interesses standen für Andreas Dresen die Begegnungen
Wichmanns mit den Menschen in Alltagssituationen. "Ich fand das oft
sehr seltsam: da lebt eine Region mit ihren zum Teil sehr schweren Problemen,
und alle vier Jahre kommt der Politikzirkus vorbei, Wahlplakate hängen
überall und der ganze Tross zieht mit viel Lärm durchs Land.
Uns hat interessiert, was für Ideen Politiker haben, um den Erwartungen
der Leute gerecht zu werden und da gibt es einen großen Kontrast",
meint Dresen. "Vielleicht liegt es an diesem Mißverhältnis,
dass die Politiker heute oft nicht mehr ernst genommen werden. Die Resignation,
auch die Angst, die immer wieder spürbar ist und oft genug in Ausländerfeindlichkeit
umschlägt, fand ich zum Teil sehr erschreckend."
Lange beschäftigt hat Andreas Dresen der Besuch Wichmanns im Altenheim.
"Da merkt man, dass er sich für die Leute interessiert, dass
er zuhört. Aber gleichzeitig ist die Situation zu groß für
ihn. Es ist einer der wenigen Momente, wo Wichmann keine Worte findet.
Die Leute dort freuen sich, dass jemand kommt und mit ihnen spricht, und
es ist egal, ob das ein Bundestagskandidat ist oder nicht. Warum bekommen
die Leute dort so wenig Besuch? Das Ausmaß der Einsamkeit war für
mich sehr erschreckend. Die ganze Fixierung unserer Gesellschaft auf die
Jugendwelt wird darin sichtbar. Die Situation im Altenheim hat ganz harmlos
begonnen. Aber dann fingen die alten Leute an, ihre Geschichten zu erzählen.
Es ging nicht mehr um Politik, sondern um die Konfrontation mit ganz persönlichen
Problemen. Es sind Momente der Wortlosigkeit entstanden. Uns allen hat
es beim Drehen den Hals zugeschnürt. Ich wäre mit einer solchen
Situation auch überfordert. Das sind die Leute, die vergessen werden,
deswegen hat die Szene etwas Tragisches. Es gibt noch eine andere Situation,
in der Wichmann keine Worte findet: als ihn das alte CDU-Mitglied an verlorene
soziale Grundsätze erinnert da prallt plötzlich die jugendliche
Oberflächlichkeit gegen die Weisheit des Alters."
Von Anfang an war es für Andreas Dresen wichtig, seinen Protagonisten
mit Respekt darzustellen. Die Filmemacher räumten, obwohl ihre volle
gestalterische Freiheit vertraglich gesichert war, Wichmann während
des Drehs und bei der Schnittabnahme ein Einspruchsrecht ein von
dem er jedoch keinen Gebrauch machte: Er war mit dem Film einverstanden.
"Wir wollten niemanden in die Pfanne hauen", meint Andreas Dresen.
"Es gab eine natürliche Distanz bei uns zu dieser Wahlkampfsituation:
irgendwo hinzukommen, den Schirm aufzuschlagen, die Art und Weise der
Argumentation. Aber es hat eben auch etwas Sympathisches, wie Wichmann
mit seinem Krempel über die Dörfer zieht, mit einer Energie
und Geduld, die viele andere Kandidaten nicht haben obwohl er sich
leicht ausrechnen kann, dass das nichts wird mit dem Wahlsieg. Dieser
Kampf auf verlorenem Posten hat ja nicht nur einen komischen, sondern
auch einen tragischen Unterton. Wir dachten, das könnte Sympathien
wecken. Anders hätte es im Film wohl auch nicht funktioniert. Man
will nicht anderthalb Stunden jemanden zugucken, den man schrecklich findet."
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